Wie bändigt man Wahrscheinlichkeitswellen?


Dr. Andrea Sengebusch

"You can’t stop the waves, but you can learn to surf."
– Jon Kabat-Zinn


Von Albert Einstein wissen wir, dass er sich schon in jungen Jahren fragte: Was passiert, wenn ich auf einer Lichtwelle reite? Eine Überlegung, die letztendlich zur Entdeckung der konstanten Lichtgeschwindigkeit und zur Entwicklung der Relativitätstheorie führte.

Doch was passiert eigentlich, wenn unser Elequant auf Wahrscheinlichkeitswellen reitet?


Was sind Wahrscheinlichkeitswellen?

Wenn wir hier von Wahrscheinlichkeitswellen sprechen, ist die quantenphysikalische Wellenfunktion (genauer gesagt ihr Betragsquadrat) gemeint. Die Wellenfunktion beschreibt den Zustand eines Quantenobjekts. Mathematisch lässt sie sich durch Lösen einer quantenmechanischen Bewegungsgleichung (z.B. der Schrödinger-Gleichung) bestimmen.

Auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Quantenobjekt, z.B. unser Elequant, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort aufhält, ergibt sich aus dem Betragsquadrat seiner Wellenfunktion. Man spricht dann von der Aufenthaltswahrscheinlichkeit. Die Werte der Wahrscheinlichkeit liegen dabei zwischen null und eins. Eins bedeutet ja 100%, also der Elequant ist hier auf jeden Fall zu finden. Bei null ist er auf keinen Fall vor Ort. Meistens gibt es Fälle dazwischen, z.B. mit 25%iger Wahrscheinlichkeit hier, zu 30% da und zu 45% dort oder auch ganz anders. Zudem können sich die Aufenthaltswahrscheinlichkeiten mit der Zeit verschieben. Die mathematische Grenze ist nur, dass die Summe der Wahrscheinlichkeiten zu jedem Zeitpunkt eins sein muss, da wir genau einen Elequanten in unserem System haben (keinen Rüssel mehr und kein Ohr weniger, genau 100% Elequant).

Wir haben hier also eine Größe, die (Aufenthalts-)Wahrscheinlichkeit, die sich räumlich und zeitlich ändert. Das klingt doch ziemlich nach Wellen. Und auf diesen Wellen lassen wir unseren Elequanten jetzt weiter surfen. Bei hohen Wahrscheinlichkeiten nahe eins, erwischt er einen tollen Wellenberg, bei kleinen Wahrscheinlichkeiten nahe null herrscht wohl eher Flaute. Ist doch klar, dass wir ihn eher bei den Wellenbergen finden oder?

Die Verteilung der Wellenberge und- täler sieht für jedes System anders aus. Versuch doch mal heraus zu kriegen, zu was für einem System die gezeigten Wahrscheinlichkeitswellen gehören?

Surfen im Raum

Das mit der verteilten Wahrscheinlichkeit funktioniert nur, solange niemand hinguckt. Wenn einer genau guckt, physikalisch wenn man den Zustand des Quantenobjekts misst, muss sich der Elequant für einen Ort „entscheiden“. Die vorher möglichen Wahrscheinlichkeitswerte reduzieren sich zu eins oder null. Allerdings, um ehrlich zu sein, ist es nicht der Elequant, der hier was zu sagen hat, tatsächlich entscheidet der Zufall, wo wir unser Quantenobjekt finden und je höher vorm Messen die Aufenthaltswahrscheinlichkeit war, desto eher finden wir dort beim Messen unseren Wellenreiter.

Eigentlich ist das ziemlich verrückt: Eben gibt es noch die schönsten Wellenberge und -täler und sobald man guckt, wo genau der Elequant so surft, zack, alles weg, sofort und überall, bis auf den einen kleinen Punkt, wo wir ihn festgenagelt haben. Das heißt, an jedem einzelnen Punkt im Raum muss zum Zeitpunkt der Messung klar sein, dass wir den Ort des Elequanten messen und wie diese Messung ausgeht. Diese Information kann nicht reisen, auch nicht mit Lichtgeschwindigkeit. Sie muss schon da sein.

Wie ist das möglich? Tja, das bleibt eines der Geheimnisse der Quantenphysik. Der Effekt ist unter dem Stichwort Nichtlokalität bekannt. Wenn du wissen willst, wo Nichtlokalität noch auftritt und wie wir sie bereits ausnutzen, schau doch mal in den Beitrag zur Verschränkung.


Surfen in der Zeit

Lass uns noch auf ein anderes spannendes Phänomen schauen. Hier geht es jetzt nicht mehr um unterschiedliche Orte, sondern die zeitliche Entwicklung eines Systems. Und weil es allein so langweilig ist, nehmen wir gleich ein ganzes Team aus Elequanten mit.

Unser System besteht aus drei Bojen, zwischen denen die Elequanten hin und her surfen können. Die drei Bojen stehen jetzt allerdings nicht für unterschiedliche Raumpunkte, sondern unterschiedliche Energielevel der Elequanten. Die Wellenberge ihrer Wahrscheinlichkeitswellen liegen immer bei den Bojen aber nicht dazwischen.

Am Anfang sind alle Elequanten im chilligen Grundzustand bei der ersten Boje. Dann schaltet einer das Radio ein und es geht ab. Angeregt durch die Musik surfen einige zur zweiten Boje. Ab und an hat einer keine Lust mehr und surft zurück. Aber je länger das Radio läuft, desto mehr machen sich auf den Weg und desto weniger bleiben bei Boje 1.

Um herauszufinden, wie viele Elequanten noch bei Boje 1 sind, ohne die Musikbegeisterten zu stören, werden nach einiger Zeit Lichtsignale von der dritten zur ersten Boje gesendet. Dieses Funkeln regt die verbleibenden Elequanten sofort an, sich auf Weg dorthin zu machen. Diese Elequanten werden gezählt, zurückgeschickt und man weiß, dass der Rest der Elequanten bei Boje 2 sein muss. Wann die aber zu Boje 2 gesurft sind, lässt sich nicht feststellen. Was, wenn ich aber genau das wissen will? Die Lösung dafür liegt scheinbar auf der Hand: einfach öfter messen. Also oft genug prüfen, wie viele noch bei Boje 1 chillen und einen Zeitverlauf aufstellen.

Diese Rechnung haben wir jetzt aber ohne unsere Wahrscheinlichkeitswellen gemacht. Picken wir uns nochmal einen Elequanten heraus: Am Anfang ist er mit ziemlicher Sicherheit bei der ersten Boje auf einem schmalen aber hohen Wellenberg. Dann geht das Radio an und mit der Lust des Elequanten zu Boje 2 zu surfen, wächst dort ein Wahrscheinlichkeitswellenberg, während der bei Boje 1 flacher wird. Mit dem Wellenberg bei Boje 2 wird die Wahrscheinlichkeit, den Elequanten dort zu finden, mit der Zeit auch größer. Und wenn wir jetzt messen? Dann ist es wie oben: die Verteilung bricht zusammen und der Elequant ist (abhängig von der Wahrscheinlichkeit) fix bei der einen oder der anderen Boje. Nach der Messung beginnt das Spiel bzw. der Aufbau der Wahrscheinlichkeitswelle von vorn.

Wenn wir in unserem System mit den drei Bojen, dem Radio und dem Team aus Elequanten sehr schnell hintereinander messen, wie viele wo sind, werden wir zum Zeitpunkt der einzelnen Messung auf viele Elequanten treffen, deren Wahrscheinlichkeitswellenberg bei der ersten Boje noch hoch ist. Das Ergebnis lautet dann: viele Elequanten bei 1 und wenige bei 2. Da sich die Wahrscheinlichkeitswellen nach jedem Durchzählen neu aufbauen müssen, kann sich das Messergebnis kaum verändern. Obwohl das Radio die ganze Zeit spielt, schaffen es jetzt kaum noch Elequanten zur zweiten Boje.

Das ist übrigens ein echtes Experiment: Die drei Bojen sind Energielevel in einem Atom und die Elequanten tauschen wir gegen Elektronen. Von Energielevel 1 zu 2 werden die Elektronen durch Radiowellen gebracht und von 1 zu 3 durch Laserpulse. Elektronen auf Energielevel 3 fluoreszieren und machen so die störungsfreie Messung der Besetzungszahlen möglich. Das Verhalten des Systems bei schnellen Messungen ist das gleiche wie eben beschrieben.

Wie wir sehen, ist die Messung ein Eingriff mit Folgen: man kann die zeitliche Entwicklung eines Systems durch häufiges Beobachten verlangsamen oder sogar verhindern. Dieses Verhalten nennt man Quanten-Zeno-Effekt. Er wurde auch in anderen Experimenten mehrfach bewiesen. Und auch die Umkehrung ist möglich, also nicht nur das Verlangsamen eines Quantensystems durch Beobachtung sondern auch das Beschleunigen. Verrückte Quantenwelt!

Quellen:

  1. Artikel „Trügerische Bewegung in der Quantenwelt“. Von: Christian Speicher. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.04.1994, Nr. 79, S. N1.
  2. Welle: Bild von Schäferle auf Pixabay unter Pixabay Lizenz.
  3. Radio: Grafik von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay unter Pixabay Lizenz.
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